Der Mercosur-Freihandelsvertrag und die Glaubwürdigkeit der EU und Luxemburgs

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Der Mercosur-Freihandelsvertrag und die Glaubwürdigkeit der EU und Luxemburgs

Der Mercosur-Freihandelsvertrag und die Glaubwürdigkeit der EU und Luxemburgs

Dietmar Mirkes Aus der Praxis 05 März 2021

Im Juni 2019 schloss die EU-Kommission mit den Vertretern der vier Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen ab. Bereits im August 2019 empfahl Außenminister Asselborn seinen Kabinettskollegen, das Abkommen auf Eis zu legen. Sein Hauptargument: es sei nicht mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar, da es zu verstärkter Entwaldung in Amazonien führe.
Nun kann man aber Eingefrorenes auch wieder auftauen…

 

Worum geht es beim Mercosur-Abkommen?

Dieser Freihandelsvertrag erhöht die Importkontingente und lässt fast alle Zollschranken zwischen den beiden Blöcken EU und Mercosur wegfallen. Hier kurz die wichtigsten Vereinbarungen und ihre Folgen:

– Das Kontingent für Importe von Rindfleisch in die EU wird von 200.000 auf 300.000 Tonnen pro Jahr erhöht. Die Viehzucht ist der größte Verursacher von Entwaldung im Amazonasgebiet.

– Die Exportzölle auf Sojabohnen und ihre Produkte sinken; es gibt keine Höchstmenge für die jährlichen Importe in die EU, das heißt die Exporte und Anbauflächen im Mercosur werden steigen.

– Die Mercosur-Länder werden die 18%ige Steuer auf importierte Chemikalien aufheben; dies verbilligt dort vor allem die Einfuhr von Pestiziden und Herbiziden.

– Die 35%ige Steuer auf Importe von europäischen Autos in die Mercosur-Länder wird abgeschafft; die Grenzwerte für Emissionen sind dort nicht so strikt wie sie in der EU zu erwarten sind.

 

Was bringt mehr Freihandel?

Der von der Europäischen Kommission veröffentlichte Bericht „Sustainable Impact Assessment“ (SIA)1 schätzt, dass sich durch das Abkommen das BIP der EU über zehn Jahre um 0,1 % erhöhen wird, für die Mercosur-Länder um etwa 0,5 %. Demgegenüber stünden aber 4,7 bis 6,8 Millionen CO2e zusätzlich emittierte Treibhausgase. Dieser Bericht wurde im Übrigen erst nach Abschluss der Verhandlungen aufgrund öffentlicher Kritik in Auftrag gegeben, das heißt der Impakt auf Umwelt und Soziales wurde im Abkommen selbst nicht berücksichtigt. Kein Wunder also, dass nach Abschluss des Abkommens eine Welle von Untersuchungen zu eben diesen Fragen von Organisationen der Zivilgesellschaft, Regierungen und Abgeordneten in Auftrag gegeben wurde.

So kommt ein von der französischen Regierung beauftragtes Gutachten im April 2020 zum Schluss, dass die Handelsgewinne auf Seiten der EU im Bereich der Industrie und der Dienstleistungen lägen und die des Mercosur in der Landwirtschaft. Die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Blöcken seien eh schon asymmetrisch und das Abkommen würde dies noch verstärken. Obwohl es Handelsgewinne gäbe, seien deren positiven Auswirkungen für die Bürger der EU „minimes“, und insgesamt sei die Bilanz zwischen den ökonomischen Gewinnen und den ökologischen Kosten negativ.

Ähnliche Ergebnisse bringt eine von der niederländischen Regierung in Auftrag gegebene Studie3: Die volkswirtschaftlichen Effekte würden für die Niederlande nicht höher als 0,03% und für die gesamte EU nicht höher als 0,02% sein. Allerdings gäbe im Bereich der Landwirtschaft in den Niederlanden Rückgänge um 0,5% in der Viehzucht (in der Milch- und Fleischproduktion) und bei Obst und Gemüse bei 0,2%.

 

Pro und Contra aus unterschiedlichen Lagern

Bereits im September 2019 zeigte einen von der grünen EP-Abgeordneten Anna Cavazzini herausgegebene Studie zweier argentinischer Sozialwissenschaftler die massive Kritik der Gewerkschaften am Abkommen4: Für die Coordinadora de Centrales Sindicales del Cono Sur CCSCS sei das Abkommen „the death sentence of our industries and our decent work and quality employment“. CCSCS hat im Verlauf der Verhandlungen wiederholt gemeinsam mit der European Trade Union Confederation (ETUC) insbesondere die mangelnde Transparenz kritisiert; beide weisen schließlich (im Februar 2021) das Abkommen in seiner vorliegenden Form zurück, da es weder Arbeits- noch Umwelt- und Menschenrechtsstandards erfüllt.5

Es sind vor allem die Unternehmerverbände, die in beiden Blöcken das Abkommen pushen, allen voran BusinessEurope, die Föderation europäischer Unternehmen aus 40 Staaten. So betont BusinessEurope in einem ebenfalls gemeinsamen Statement mit den Unternehmerverbänden der vier Mercosur-Staaten die Chancen der Freisetzung der großen Marktpotentiale, wegfallender Zölle und einheitlicher Standards.6

Manche Politiker führen auch geostrategische Überlegungen ins Feld, nämlich ein Gegengewicht gegen das wirtschaftliche Vordringen Chinas in Südamerika, vor allem an den Staaten längs der Pazifikküste.

Widerstände gegen die Steigerung der AgrarImporte kommen in Europa zudem aus der Landwirtschaft: COPA-COGECA, der Dachverband der europäischen Landwirtschaft, wendet sich gegen das Abkommen in seiner aktuellen Form; auch für die Vereinigungen der europäischen Geflügelverarbeiter und –händler (AVEC) und der Europäischen Rübenbauern (CLBE) ist das Abkommen in Zeiten des Green Deals inakzeptabel.7 Der deutsche Bauernverband DBV und die französische Fédération nationale des syndicats d’exploitants agricoles FNSEA lehnen in ihrer gemeinsamen Pressemitteilung vom 23.2.21 das Abkommen ebenfalls ab.8

 

Kollateralschäden in den Gesellschaften des Mercosur

In Brasilien hat sich eine breite Front von 120 NROs gegen das Abkommen gebildet9, darunter u.a. die Via Campesina Brasilien, alte Partner der ASTM wie MST und MAB (die Bewegungen der Landlosen und Betroffenen von Staudämmen), zahlreiche Gewerkschaften, wissenschaftliche Institute und indigene Organisationen. Sie weisen in einem gemeinsamen Statement u.a. auf die sozialen Folgen des Abkommens hin: Die daraus resultierende Privatisierung öffentlicher Güter und Dienstleistungen würde zu einer Verteuerung (zum Beispiel der Wasserversorgung) führen und die Lebensbedingungen vor allem der schwarzen, armen und peripheren Bevölkerung in den Städten verschlechtern. Im staatlichen Beschaffungswesen müssten kleine und mittlere lokale Unternehmen in den Ausschreibungen gleichberechtigt mit europäischen multinationalen Unternehmen konkurrieren. Dies habe im Programm zum Kauf von Nahrungsmitteln (PAA) und im nationalen Schulspeisungsprogramm (PNAE) tiefgreifende Auswirkungen auf Bäuerinnen aus der Region, die die meisten Lieferanten dieser Programme sind. Generell verstünde das Abkommen unter „Fairness“, Ungleiche gleich zu behandeln.

Das ist ein bei vielen wiederkehrendes Argument, so kritisiert Raúl Hutín, Sekretär der Central de Entidades Empresarias Nacionales (CEEN), ein mittelständischer Unternehmer aus Argentinien, vor allem die Asymmetrie zwischen den beiden Blöcken:4 „Wir verschließen uns weder vor der Welt, noch entziehen wir uns dem Wettbewerb. Aber damit es fair ist, muss es ähnliche Bedingungen zwischen den Parteien geben, was heute bei weitem nicht der Fall ist. … Freier Handel ohne Berücksichtigung von Ungleichheiten am Ausgangspunkt erzeugt größere Ungleichgewichte“.

Generell bedeutet natürlich der Wegfall von Exportzöllen – vor allem beim argentinischen Soja – den Wegfall staatlicher Einnahmen, was zwangsläufig zur Kürzung staatlicher Ausgaben führt.

 

Und die politische Landschaft in Luxemburg?

Gleich am 3.7.2019 stellten die beiden DP-Abgeordneten Gusty Graas und André Bauler eine kritische Parlamentarische Frage an den Landwirtschaftsminister Romain Schneider, die dieser am 24.7.2019 etwas ausweichend, man prüfe noch, beantwortete.10

Nachdem Außenminister Jean Asselborn bereits im August 2019 seine skeptische Haltung zum Abkommen mit der Empfehlung zum „Einfrieren“ klargestellt hat, wohl auch vor dem Hintergrund der katastophalen Brände in Amazonien, haken ein Jahr später Déi Gréng in der Chambre mit einer Parlamentarischen Anfrage nach, ob die Position der Regierung noch immer dieselbe sei, was die drei Minister Jean Asselborn, Carole Dieschbourg und Romain Schneider im September 2020 in ihrer gemeinsam Antwort bejahen.11

Auch in der europäischen Zivilgesellschaft wächst der Widerstand weiter: Im August fordert CAN-Europe, der größte Dachverband europäischer NGOs zum Schutz des Klimas (in dem die ASTM Mitglied ist), in einem Media-Briefing die EU auf das Abkommen zu stoppen.12 Im September 2020 lehnt die Vollversammlung des Internationalen Klima-Bündnis das Abkommen in seiner jetzigen Form ab (siehe bp3w 311). Im November 2020 schließt sich die Vollversammlung des Klima-Bündnis Lëtzebuerg dieser Resolution an. In den folgenden Monaten stimmen viele Gemeinderäte der Mitgliedsgemeinden dieser Resolution ebenfalls zu und fordern Außenminister Asselborn schriftlich auf, dem Abkommen nicht zuzustimmen

In seiner Erklärung zur Außenpolitik am 11.Nov. 2020 vor der Chambre des Députés geht Jean Asselborn auf Mercosur ein: „Nous avons besoin ici d’engagements concrets, en particulier de la part du Brésil, pour prendre des mesures contre le changement climatique et la déforestationn avant de pouvoir conclure cet accord. … La Commission y travaille actuellement. Nous analyseront en détail ce qui pourrait en ressortir.“13

 

Kollateralschäden rund um das Vordringen von Viehzucht und Sojaanbau

Der politisch entscheidende Knackpunkt ist die Unvereinbarkeit des Mercosur-Abkommens mit dem völkerrechtlich verbindlichen Paris Agreement. Hier geht es um die Frage, wieviel mehr Wald dem Vordringen von Viehzucht und Sojaanbau zum Opfer fällt.

Das bereits erwähnte Gutachten für die französische Regierung kommt hier zum Schluss, dass allein die Ausweitung der Viehzucht zu mindestens 25% mehr Entwaldung in dem für die Exporte in die EU benötigten Anteil der Waldflächen führen würde. Weniger Wald bindet weniger Emissionen, wodurch der Vertrag insgesamt mehr ökologische Kosten als ökonomische Gewinne verursacht.

Die stärkste Entwaldung wird in Brasilien stattfinden (neben Flächen im nordargentinischen und paraguayanischen Gran Chaco); daher schauen wir uns im Folgenden die Situation in Brasilien etwas genauer an:

Das Amazon Institute of People and the Environment (Imazon) in Belém kommt im November 2020 zu einem ähnlichen Ergebnis wie das französische Gutachten.14 Das Risiko stärkerer Rodungen träfe vor allem Wälder in den Bundesstaaten Parà, Rondônia and Mato Grosso und in Nachbarschaften indigener Territorien und Naturschutzgebieten.

Zwei andere Studien weisen auf Rechtsverstöße in den beteiligten Sektoren der Vieh- und Sojawirtschaft hin: Laut Stockholm Environment Institute könnten rund 20% der Sojaexporte und mindestens 17% der Fleischexporte auf illegale Rodungen zurückgehen.15

Und Bloomberg Green weist in einer Recherche von Reporter Brasil, einer unabhängigen Recherchegruppe, die sich auf Umwelt- und Arbeitsthemen konzentriert, auf über ein Dutzend Fälle hin, in denen die großen Fleischproduzenten JBS, Marfrig Global Foods SA, and Minerva Vieh schlachteten, das von Zulieferern stammte, die für extreme Ausbeutung von Arbeitern einschlägig bekannt sind. Es gebe keinen Mechanismus zur Überwachung von Zulieferern.16

 

Die Bumerangs der globalen industriellen Landwirtschaft

Zu diesen Rechtsverstößen kommen allerdings weit schlimmere Auswirkungen legaler (!) Praktiken hinzu. 95% der Sojapflanzen im Mercosur sind gentechnisch modifiziert und ermöglichen den Einsatz von Herbiziden und Pestiziden. Diese werden in Unmengen gespritzt: im Süden Brasiliens um die 15 kg pro Hektar und Jahr gegenüber nur 1 kg in Europa – und oft mit Mitteln, die in Europa nicht mehr zugelassen sind, zum Beispiel die Hälfte der 123 Pestizide der deutschen Firma Bayer und fast ein Drittel der Pestizide von BASF.17 Die Grenzwerte für Glyphosatrückstände, die auf Lebensmitteln für Verzehr zugelassen sind, sind in Brasilien 200mal höher als in Europa.

Die Folgen für die Gesundheit sind heftig: 80% der Proben von Muttermilch enthalten gemäß einer Studie in Urucui im Bundesstaat Piaui Agrotoxine, inbesondere Glyphosat. Das Nationale Krebsforschungsinstitut (INCA) schätzt, dass jeder Brasilianer aufgrund von Rückständen in Lebensmitteln im Schnitt 5 Liter Pestizide im Jahr zu sich nimmt. Laut Regierungsstatistiken starben in Brasilien von 2008 bis 2017 über 7.200 Menschen Pestizidvergiftung.18

Das Vordringen der Flächen für Viehweiden und Sojaanbau in Richtung der Gebiete von Indigenen bringt aktuell noch ein weiteres Problem mit sich: Zahlreiche Publikationen der Indigenen weisen eindringlich darauf hin, dass das Agribusiness der Hauptverantwortliche für die Übertragung des Corona-Virus auf die Indigenen ist. Die Indigenenorganisation APIB zitiert Zeitungsartikel, dass Angestellte von Kühlhäusern von JBS in Mato Grosso do Sul dort lebende indigene Guarani Kaiowá infizierten sowie ähnliche Fälle im Westen von Paranà und in Rio Grande do Sul. 19

Es ist wie mit dem Bumerang: So wie mit den Pestizidrückständen in den importierten Sojaprodukten werden wir es über kurz oder lang auch mit der brasilianischen Mutante zu tun kriegen. t-online berichtet am 13.2.21, dass die Coronavirus-Variante P.1 erstmals im Januar bei vier aus Brasilien nach Japan eingereisten Menschen nachgewiesen wurde. Sie kamen aus dem Amazonasgebiet, wo die Mutation inzwischen wahrscheinlich für 90 Prozent der Neuinfektionen im Amazonas-Bundesstaat verantwortlich sei.20

 

Die Stimmung in Europa dreht sich

Die Flut von Studien zum Mercosur-Vertrag seit Bekanntwerden des Abkommens und die Stellungnahmen aus der Zivilgesellschaft verfehlen ihre Wirkung auf die öffentliche Meinung nicht. Eine im Auftrag der norwegischen Rainforest Foundation von YouGov in zwölf europäischen Staaten im Januar 2021 organisierte Umfrage belegt die massive Ablehnung des Abkommens: 75% der Befragten sind der Meinung, ihre Regierungen sollten das Abkommen nicht ratifizieren solange die Abholzung in Amazonien weitergeht.21

Die Haltung der Abgeordneten des Europaparlaments ist jedoch nicht so eindeutig: In einer Vorlage zur Abstimmung über die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU am 19.1.21 steht der Satz, es sei wichtig, die globalen Abkommen mit Chile und Mexico sowie mit den Mercosur-Staaten zum Abschluss zu bringen, denn dies seien Schlüsselalliierte und Partner der EU. Ein Änderungsantrag der Grünen/ALE-Gruppe, den viele Organisationen der Zivilgesellschaft unterstützen, diesen Satz zu streichen, scheitert mit 297 zu 303 Stimmen nur knapp. Von den sechs Luxemburger Abgeordneten stimmen drei dem Antrag zu: Charles Goerens und Monica Semedo von der DP und Tilly Metz von den Grünen, drei sind dagegen: Christoph Hansen und Isabel Wiseler-Lima von der CSV und Marc Angel von der SP, der Partei des Außenministers.

Die EU-Kommission und Portugal, das im 1. Halbjahr 2021 den Ratsvorsitz innehat, wollen das Abkommen so schnell wie möglich durchziehen; ein häufiges Argument ist, dass man ja schon 20 Jahre daran gearbeitet habe und dies jetzt endlich zu Ende bringen müsse (so der portugiesische Staatspräsident Rebelo de Sousa).

 

Kohärenz und Glaubwürdigkeit

Mittlerweile geht es aber nicht mehr nur um ein Freihandelsabkommen, sondern um die Kohärenz und damit die Glaubwürdigkeit der EU:

– Das Abkommen ist unvereinbar mit den Reduktionszielen des Paris Agreements.

– Es ist ebenso unvereinbar mit der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 mit dem schönen Untertitel „Mehr Raum für die Natur in unserem Leben“ vom Mai 2020: Hier steht In Kapitel „4. Die EU auf dem Weg zu einer ehrgeizigen globalen Biodiversitätsagenda“ im Unterkapitel 4.2.2 zur Handelspolitik: „Die Handelspolitik wird den ökologischen Wandel aktiv unterstützen und Teil dieses Wandels sein. In diesem Zusammenhang wird die Kommission auch durch den Leitenden Handelsbeauftragten der EU sicherstellen, dass die Bestimmungen über die biologische Vielfalt in allen Handelsabkommen vollständig umgesetzt und durchgesetzt werden.“

– Es unterminiert den Green Deal der EU (- 50 bis 55% Emissionen bis 2030 und Klimaneutralität bis 2050), da es für seine Autoindustrien Exportschlupflöcher für Autos mit höheren Emissionen öffnet und das energie- und emissionsintensive Landwirtschaftsmodell fördert – nach dem Prinzip „Greening der EU durch Auslagerung schädlicher Produktionen“.

 

Und es geht auch um die Kohärenz und Glaubwürdigkeit der Luxemburger Außenpolitik:

Luxemburg hat im Frühjahr 2018 die ILO-Konvention 169 ratifiziert. Sie besagt u.a. in Artikel 7, Satz 4: „Die Regierungen haben in Zusammenarbeit mit den betreffenden Völkern Maßnahmen zu ergreifen, um die Umwelt der von ihnen bewohnten Gebiete zu schützen und zu erhalten.“ … und (in Artikel 2, Satz 1): „…um die Rechte dieser Völker zu schützen und die Achtung ihrer Unversehrtheit zu gewährleisten.“ Das Mercosur-Abkommen widerspricht in vielen Punkten und vor allem dem Sinn dieser Konvention.

Es widerspricht auch der Strategie der Kooperationspolitik, die besagt: „„L’objectif principal du Luxembourg en matière de coopération au développement est de contribuer à la réduction et, à terme, l’éradication de la pauvreté extrème à travers le soutien au développement durable sur le plan économique, social et environnemental.“ Oder darf man in anderen Ländern als den Zielländern Maßnahmen fördern, die dort durch Landvertreibungen von Kleinbauern und Indigenen neue extreme Armut schaffen?

Außenminister Asselborn sagte in seiner außenpolitischen Deklaration im November 2020, dass man insbesondere von Brasilien konkrete Maßnahmen zum Stopp der Entwaldung erwarte. Die brasilianische Zivilgesellschaft kennt sie mittlerweile: Das Observatorio do Clima, ein Netzwerk von 56 Organisationen der brasilianischen Zivilgesellschaft, weist darauf hin, dass der Regierungsentwurf für das Budget 2021 des Umweltministeriums mit umgerechnet rund 261 Millonen € das niedrigste seit Ende des letzten Jahrhunderts ist. Trotz der erhöhten Entwaldung und den vermehrten Wald- und Buschbränden in den beiden letzten Jahren hat die Regierung das Budget für Umweltinspektion und Bekämpfung der Waldbrände um über ein Viertel gekürzt.22

Die APIB beklagt, dass die Entwaldung unter Präsident Bolsonaro (seit 1.1.2019 im Amt) in Amazonien nach Angaben des Space Research Institute (Inpe) von August 2019 bis Juli 2020 um 34,5% gestiegen ist.23

 

Für ein paar Silberlinge Rechtsradikalismus stärken?

Wir haben es hier mit einem Vertragspartner zu tun, dem man nicht trauen kann. Bolsonaro leugnet den Klimawandel und redet die Gefahr durch den Virus klein; er ist ein rechtsradikaler Militarist, der Amazonien nur als Rohstoffreservoir sieht. Er tut alles, um für den An- und Abbau von Ressourcen die Entwaldung zu erleichtern und nimmt die Zerstörung der Lebensräume der Indigenen und der Biodiversität in Kauf. Durch sein Ignorieren der Coronaepidemie hat er die Ausbreitung des neuen Mutanten erleichtert, der wohl auch seinen Weg zu uns finden wird.

Ein Mercosur–Abkommen würde Bolsonaro und die Agrarlobby stärken, die ihn an die Macht gehievt hat. Dass man ihn nur über ein solches Abkommen beeinflussen könne, ist politisch naive Appeasementpolitik. Das Gegenteil ist der Fall: Mit dem „Ja“ zu Mercosur kredenzt man ihm einen außenpolitischen Erfolg auf dem Tablett.

 

Ein Kniefall vor den jeweils stärksten Lobbys

Aber es drängen sich auch Fragen nach dem Selbstverständnis der europäischen Verhandler und Politiker auf: 20 Jahre lang verhandeln für ein Ergebnis im Promillebereich? Jeder Betrieb wäre so längst bankrott gegangen. 20 Jahre lang blind sein für die Folgen in den Bereichen Umwelt und Soziales, für die anderen Verträge der EU? Als ob die linke Hand bzw. Kommission nicht weis, was die rechte tut. Verhandler und Politiker hüben und drüben sind vor dem Agribusiness im Mercosur und der Auto- und Chemieindustrie in der EU eingeknickt. So schreddern „die da oben in Brüssel“ das Vertrauen der Bürger in ihre Kompetenz und Glaubwürdigkeit.

Das Mercosur-Abkommen hatte nach 20 Jahren schon sein Haltbarkeitsdatum überschritten, bevor es eingefroren wurde. Es nimmt nur Platz in der Gefriertruhe weg, und es wird Zeit, es herauszunehmen und in die Mülltonne zu werfen.

 

Quellen:

  1. https://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2020/july/tradoc_158892.pdf
  2. Commission indépendante: Rapport au Premier ministre: Dispositions et effets potentiels de la partie commerciale de l’Accord entre l’Union européenne et le mercosur en matière de développement durable, 07/04/2020:
  3. https://research.wur.nl/en/publications/effecten-van-het-eu-mercosur-akkoord-op-de-nederlandse-economie
  4. Luciana Ghiotto, Dr. Javier Echaide: Analysis of the agreement between the European Union and the Mercosur, Publisher: Anna Cavazzini MEP, The Greens/EFA, Berlin, Buenos Aires, Brussels, December 2019
  5. https://www.etuc.org/en/publication/cono-surccscs-etuc-joint-statement-bi-regional-association-agreement-between-european, 2.2.21
  6. https://www.businesseurope.eu/publications/strengthening-economic-relations-between-eu-and-mercosur-countries-declaration-business, 26.11.20
  7. Bauernzeitung, Wien, 19.2.21
  8. https://www.volksfreund.de/pr/presseportal/dbv-und-fnsea-lehnen-mercosur-abkommen-ab-rukwied-europaeische-standards-nicht-unterlaufen_aid-56416849
  9. FRENTE DE ORGANIZAÇÕES DA SOCIEDADE CIVIL BRASILEIRA CONTRA O ACORDO MERCOSUL-UE, Brasilien, 9.12.2020
  10. https://agriculture.public.lu/de/actualites/2019/Juli-2019/qp857-mercosur-abkommen.html
  11. https://chd.lu/wps/portal/public/Accueil/TravailALaChambre/Recherche/RoleDesAffaires?action=doQuestpaDetails&id=19549
  12. CAN-Europe: Mercosur – EU Trade Agreement Media Briefing, Bruxelles August 2020
  13. Jean Asselborn: : Déclaration de politique étrangère, 11.Nov.2020
  14. Imazon (Hg.): Is the EU-Mercosur trade agreement deforestation-proof? Belem, Para, Br azil Nov. 2020 (Amazon Institute of People and the Environment)
  15. SEI: The rotten apples of Brazil’s agribusiness, . Science Aug. 2020, 369(6501). 246–48
  16. Jessica Brice: Slave Labor at Brazilian Cattle Farms Focus of New Report, in: Bloomberg Green, 4.1.21
  17. Thomas Fritz: EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte, Hg.: Misereor, Greenpeace & Dreikönigsaktion, Juni 2020
  18. mongabay.com, diverse Artikel zum Thema “pesticides”
  19. APIB (Articulation of Indigenous Peoples of Brazil) et al. : Our fight for life, Nov. 2020
  20. Melanie Weiner: Warum die Corona-Mutation aus Brasilien Forschern Sorgen macht, in: t-online.de, 13.2.21
  21. Rainforest Foundation Norway (Hg.): European public opinion on Mercosur, deforestation and climate financing, Februar 2021
  22. http://www.oc.eco.br/wp-content/uploads/2021/01/Passando-a-boiada-EN.pdf.
  23. APIB (Hg.): Our Fight is for Life, COVID-19 and the indigenous people, Nov. 2020, in: https://emergenciaindigena.apiboficial.org, 2610 Z.

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