Menschenrecht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt ist untrennbar mit der Wahrnehmung anderer Menschenrechte verbunden
Das Klima-Bündnis hatte anlässlich der Plénière vom Mai 2022 in Mertzig eine Resolution verabschiedet, in der die luxemburgische Regierung aufgefordert wurde, die Forderung des pazifischen Inselstaates Vanuatu nach einer “advisory opinion on the rights of present and future generations to be protected from the adverse consequences of climate change“ zu unterstützen. Vanuatu benötigte für dieses Gutachten zum Schutz gegenwärtiger und künftiger Generationen vor den negativen Auswirkungen des Klimawandels eine einfache Mehrheit der 193 Mitgliedsstaaten in der UN-Vollversammlung, um das betreffende Gutachten beim Internationalen Gerichtshof (IGH) anfragen zu können – auch Luxemburg unterstützte den Antrag schließlich im Dezember 2022 mit einer Ja-Stimme. Die UN-Vollversammlung forderte mit der erhaltenen Mehrheit in einer Resolution vom 29. März 2023 den Internationalen Gerichtshof auf, ein Gutachten zu den rechtlichen Verpflichtungen der Staaten in Bezug auf den Klimawandel zu erstellen.
Nach fast drei Jahren – im Juli 2025 – hat der Internationale Gerichtshof nun dieses wegweisende Gutachten zum Klimawandel verabschiedet, dessen Ziel es ist, die Verpflichtungen der Staaten nach dem Völkerrecht in Bezug auf die Verhütung, Eindämmung und Behebung des Klimawandels und seiner Auswirkungen zu klären.
Was bedeutet dieses Gutachten für die Klimagerechtigkeit?
Das Gutachten ist sehr umfangreich – Climate Action Network Europe hat das umfangreiche Gutachten analysiert und einige der wichtigsten Punkte hervorgehoben:
1,5 °C als einziges Temperaturziel: Der Gerichtshof erkennt an, dass das 1,5 °C-Ziel „das wissenschaftlich fundierte Konsensziel im Rahmen des Pariser Übereinkommens“ geworden ist, und betrachtet „die 1,5 °C-Schwelle als das von den Vertragsparteien vereinbarte primäre Temperaturziel zur Begrenzung des globalen durchschnittlichen Temperaturanstiegs im Rahmen des Pariser Übereinkommens“ (Rn. 224). Daher dürfte es für die Staaten schwieriger werden, ihre Politik im Hinblick auf das 2 °C-Ziel rechtlich zu rechtfertigen.
Festlegung des Inhalts der Nationally Determined Contributions (NDCs): Der Ermessensspielraum der Staaten bei der Festlegung ihrer NDCs ist begrenzt. Sie müssen bestimmte Standards des Pariser Abkommens erfüllen, darunter:
- Die NDCs einer Vertragspartei müssen die „höchstmöglichen Ambitionen“ widerspiegeln, um die Ziele des Pariser Abkommens zu verwirklichen (Absätze 241, 242 und 246).
- Der Maßstab, der bei der Bewertung der NDCs verschiedener Vertragsparteien anzuwenden ist, hängt unter anderem von den historischen Beiträgen zu den kumulativen Treibhausgasemissionen sowie vom Entwicklungsstand und den nationalen Gegebenheiten der betreffenden Vertragspartei ab (Absatz 247).
Auswirkungen des Klimawandels auf die Menschenrechte: Der Gerichtshof ist der Ansicht, dass „die negativen Auswirkungen des Klimawandels, darunter unter anderem die Auswirkungen auf die Gesundheit und die Lebensgrundlagen von Menschen durch Ereignisse wie den Anstieg des Meeresspiegels, Dürren, Wüstenbildung und Naturkatastrophen, die Wahrnehmung bestimmter Menschenrechte erheblich beeinträchtigen können“ (Abs. 372 ff.). Der Gerichtshof erläutert ausführlich die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wahrnehmung bestimmter Menschenrechte (Recht auf Leben, Recht auf Gesundheit, Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, Recht auf Familie, Rechte von Frauen, Kindern und indigenen Völkern) und betont außerdem, dass das Menschenrecht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt untrennbar mit der Wahrnehmung anderer Menschenrechte verbunden ist (Randnr. 393). Dies ist eine wichtige Entwicklung für die Anerkennung dieses Rechts auf europäischer Ebene, d. h. im Zusammenhang mit den Bemühungen um die Verabschiedung eines Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention.
Bedrohung der Existenz von Staaten durch den Klimawandel: Der Gerichtshof erklärt, dass „die Auflösung eines Staates nach seiner Gründung nicht zwangsläufig mit dem Verlust seiner Staatlichkeit einhergeht“ (Absatz 363). Das bedeutet, dass Staaten, deren territoriale Integrität beispielsweise durch den Anstieg des Meeresspiegels bedroht ist, als solche weiterbestehen werden.
Schutz von Klimaflüchtlingen: Der Gerichtshof betont, dass „die Staaten dem Grundsatz der Nichtzurückweisung verpflichtet sind, wenn ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen, dass eine reale Gefahr einer irreparablen Beeinträchtigung des Rechts auf Leben […] besteht, wenn Personen in ihr Herkunftsland zurückgeführt werden“ (Absatz 378). Das bedeutet, dass Personen, die aufgrund des Klimawandels vertrieben wurden, nicht in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden dürfen, wenn ihr Recht auf Leben bedroht ist.
Pflicht zur Regulierung der Emissionen privater Akteure: Der Gerichtshof erklärt, dass „das Versäumnis eines Staates, geeignete Maßnahmen zum Schutz des Klimasystems vor Treibhausgasemissionen zu ergreifen – einschließlich durch die Förderung fossiler Brennstoffe, den Verbrauch fossiler Brennstoffe, die Erteilung von Lizenzen für die Exploration fossiler Brennstoffe oder die Gewährung von Subventionen für fossile Brennstoffe – eine völkerrechtswidrige Handlung darstellen kann, die diesem Staat zuzurechnen ist“. Daher „kann ein Staat beispielsweise haftbar sein, wenn er es versäumt hat, die erforderliche Sorgfalt walten zu lassen, indem er nicht die notwendigen regulatorischen und legislativen Maßnahmen ergriffen hat, um die Menge der Emissionen privater Akteure in seinem Hoheitsgebiet zu begrenzen“ (Absätze 427-428).
Was bringt ein Gutachten des IGH?
Ziel dieses Gutachtens war, dass der IGH die Verantwortlichkeiten für den Klimawandel nach internationalem Recht klärt. Eine “advisory opinion” ist generell ein Rechtsgutachten, das den Vereinten Nationen oder einer Sonderorganisation vom Internationalen Gerichtshof gemäß Artikel 96 der Charta der Vereinten Nationen zur Verfügung gestellt wird. Die Generalversammlung und der Sicherheitsrat können Gutachten zu „jeder Rechtsfrage“ beantragen.
Im Gegensatz zu Urteilen in Streitfällen zwischen Staaten sind Gutachten zwar nicht bindend im Sinne von direkten rechtlichen Verpflichtungen, haben jedoch erhebliche rechtliche Autorität und moralischen Einfluss. Die Auswirkungen solcher Gutachten sind indirekter Natur: Sie geben Orientierung für künftige internationale Klimaschutzmaßnahmen, indem sie rechtliche Klarheit schaffen, die die Rechenschaftspflicht stärken und als Grundlage für politische Entscheidungen, Rechtsstreitigkeiten und die Auslegung von Verträgen dienen kann. So kann dieses Gutachten zu den Folgen des Klimawandels beispielsweise der zunehmenden Zahl von Klima-Klagen weltweit größeres rechtliches Gewicht und moralische Autorität verleihen und als Katalysator für die Entwicklung eines internationalen Rechts zu diesem Thema wirken.
Frühere Gutachten des Weltgerichtshofs haben in diesem Sinne schon bei der Schaffung von internationalem Recht, wie dem Recht auf Selbstbestimmung, der Verhinderung von Völkermord und der nuklearen Abrüstung den Anstoß gegeben.
Weltweit gab es bereits 1.500 klimabezogene Gerichtsverfahren, darunter ein Fall, bei dem ein niederländisches Gericht Shell zur Senkung seiner Emissionen verurteilte, und ein deutsches Verfassungsgericht, das entschied, dass das Klimagesetz des Landes unzureichend sei.
Die Rolle Luxemburgs
Das Gutachten signalisiert der Welt einen konkreten und gut begründeten Katalysator für ehrgeizigere Klimaschutzmaßnahmen, der auch Luxemburg und dem Klima-Bündnis die konkrete Möglichkeit gibt, an einem globalen Fortschritt in Richtung Generationen- und Klimagerechtigkeit mitzuwirken und kohärente politische Entscheidungen zur globalen Klimagerechtigkeit einzufordern.
Anknüpfend an die Forderungen, die das Klima-Bündnis Lëtzebuerg bereits 2022 mit dem Aufruf zur Unterstützung des Gutachtens gestellt hat, erwarten wir jetzt von der luxemburgische Regierung :
- als Akteur in den internationalen Klimaverhandlungen und während der COP30 die bestmögliche Zusammenarbeit und Kohärenz zu zeigen zwischen Finanzministerium, Nachhaltigkeitsministerium, Energieministerium und Kooperationsministerium.
- in ihrer Rolle als Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen auch nach Beendigung ihrer Mandats im Menschenrechtsrat Themen der Klimagerechtigkeit Priorität zu geben.
- die Entwicklung und politische Anerkennung des Begriffs der klimabedingten Migration zu unterstützen.
- im Sinne einer globalen Klimagerechtigkeit konkrete und angemessene finanzielle Zusagen für Fonds zu machen, die über den Loss&Damage-Mechanismus Klimawandel-Folgeschäden auffangen sollen.
- bereits verabschiedeten Konventionen wie der ILO169 Taten Folgen zu lassen und ihre internationale (Klima-)Politik gemäß den Verpflichtungen dieser Konventionen auszurichten.
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